Praxis für kleine Heimtiere
Dr. Anja Ewringmann

Chinchilla



Besonderheiten von Anatomie, Physiologie und Stoffwechsel

Chinchillas zeigen einige anatomische und physiologische Besonderheiten, die für die Haltung als Heimtier von Interesse sind.


Verdauungsphysiologie

Zähne


Alle Zähne des Chinchillas besitzen offene Wurzelkanäle, wachsen lebenslang und müssen kontinuierlich abgenutzt werden. Es werden verschiedene Arten des Abriebs unterschieden. Bei der sog. funktionellen Abrasion kommt der Abrieb der Zähne durch Kontakt mit harten Pflanzenteilen zustande. Als sog. parafunktionelle Abrasion wird der Zahnabrieb bezeichnet, der durch Schleifen am Gegenzahn entsteht (4).

Schematische Darstellung eines Schneidezahnes


Im Ober- und Unterkiefer finden sich je 2 Schneidezähne (= Incisivi), die einen kräftig gelb-orange gefärbten Schmelzüberzug besitzen. Die intensive Färbung entsteht durch Einlagerung von Eisenpigment. Das Verhältnis der sichtbaren Anteile der Schneidezähne von Ober- und Unterkiefer beträgt physiologischerweise etwa 1:2. Die oberen Incisivi stehen vor den unteren. Die Zähne sind nur an ihren Vorderfläche mit Zahnschmelz überzogen. Beim Nagen wird so die hintere Fläche der Zähne stärker abgenutzt, woraus sich eine meißelartige Schärfe ergibt (4).

Hinter den Schneidezähnen schließt sich ein zahnloser Kieferteil an, das sog. Diastema.

In jedem Kieferviertel sind 4 Backenzähne vorhanden. Diese stehen mit einer leichten Neigung von etwa 10° im Kiefer, im Unterkiefer in Richtung der Zunge, im Oberkiefer in Richtung der Wangenschleimhaut.

Die Backenzähne sind wie folgt aufgebaut: jeder Zahn besteht aus drei Pfeilern aus Dentin (= Knochenbein). Diese sind von allen Seiten (jedoch nicht auf der Kaufläche) mit Zahnschmelz überzogen. Die drei Zahnteile werden durch Zahnzement miteinander zu einem Zahn verbunden.
Zum Zerkleinern der blättrigen Nahrung vollführt der Unterkiefer Mahlbewegungen, die vorwärts-rückwärts gerichtet sind. Der Zahnschmelz, der die härteste Substanz des Körpers darstellt, nutzt sich dabei am wenigsten ab. So entstehen scharfkantige Schmelzfalten, zwischen denen das Futter zerrieben werden kann (4).

Schematische Darstellung eines Backenzahnes


Schematische Darstellung eines Backenzahnes (Aufsicht auf die Kaufläche)



 

Pathophysiologie von Zahnerkrankungen

 

Zahnerkrankungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen des Chinchillas. Eine physiologische Kautätigkeit ist auf Dauer nur dann möglich, wenn sich Wachstum und Abrieb der Zähne die Waage halten. Um dies zu erreichen, ist eine intensive Kauaktivität erforderlich, die durch die Fütterung von natürlicher und artgerechter Nahrung (blättriges Grünfutter) erreicht werden kann.

Verschiedene Faktoren können Zahnerkrankungen auslösen:

Futter mit geringem Rohfasergehalt (z.B. Pellets, Körnerfutter, Obst) führt zu verminderter Kauaktivität, einerseits, da diese Nahrung mit nur wenigen Kaubewegungen sehr schnell zerkleinert wird, andererseits weil sie schnell satt macht und in Folge dessen weniger strukturiertes Futter gefressen wird. Dadurch kommt es zu einem reduzierten Abrieb und die Backenzähne werden immer länger. Dies hat verschiedene Folgen:

Beim Kauvorgang entsteht ein erhöhter Druck auf die Backenzähne, der bis in den   Wurzelbereich weitergeleitet wird. Die Folgen sind:

  • eine Entzündung der Zahnwurzeln (und auch des angrenzenden Knochengewebes), so dass die Zahnsubstanz nicht mehr regulär nachgebildet wird. Die Zähne weisen Verfärbungen, Schmelzdefekte und eine Abrundung der sonst so scharfen Kauflächen auf.
  • eine Verbiegung der Zähne, so dass die Kauflächen von Ober- und Unterkiefer sich nicht mehr korrekt treffen. Dies führt dazu, dass die Zahnränder nicht mehr abgerieben werden, so dass spitze Ausziehungen entstehen, die die Zunge bzw. Wangenschleimhaut verletzen.
  • eine sog. retrograde Elongation: die Zähne werden durch den erhöhten Druck immer weiter in den Kiefer „gestanzt“ und können letztlich die knöcherne Zahnfachbegrenzung durchbrechen.
  • eine Lockerung der Zähne, so dass Bakterien eindringen und eitrige Infektionen verursachen, die auch auf den Kieferknochen übergreifen können (4, 5).

Alle diese Veränderungen führen zu starken Schmerzen sowie einer mechanischen Einschränkung der Kautätigkeit, was zu noch stärkerem Überwachsen der Zähne beiträgt – es entsteht ein Teufelskreislauf.

Hartes Futter wird mit vertikalen Kaubewegungen zerquetscht (6). Dabei steigt der Druck auf die Zähne proportional zur Härte der Nahrung (4). Als harte Nahrung sind in diesem Zusammenhang z.B. Pellets, Körner und Gemüsestückchen (frisch und getrocknet) zu nennen. Eine permanente Druckbelastung durch solche Futtermittel zieht die gleichen o.g. Probleme nach sich.

Ein zu geringer Kalzium-Gehalt der Nahrung oder ein ungünstiges Kalzium-Phosphor-Verhältnis des Futters (gewünscht ist ein Verhältnis von etwa 2:1) führt zu Knochenstoffwechselstörungen und reduzierter Zahnqualität (5).

Weitere möglich Ursachen sind genetische Faktoren, die zu Fehlstellungen der Zähne führen oder Traumata (5). Es wird zudem vermutet, dass ein Vitamin D-Überschuss durch intensive Pelletfütterung bei Chinchillas Zahnerkrankungen begünstigt (7).


Magen

Der Magen des Chinchillas besitzt kaum Muskulatur und ist sehr dünnwandig. Dies hat verschiedene Konsequenzen:
  • Futter kann nicht durch eine Eigenmotorik in den Darm überführt werden. Nur durch neu aufgenommenes Futter wird bereits im Magen befindliche Nahrung in den Darm weitergeschoben.
  • aufgrund der fehlenden Muskulatur können Chinchillas nicht erbrechen.
  • wegen der dünnen Wand kann der Magen sehr schnell aufgasen.


Dünndarm

Im Dünndarm erfolgt die Verdauung von leicht verdaulichen Kohlenhydraten, leicht verdaulichen Eiweißen und Fetten. Die Verdauungskapazität für diese Nährstoffe ist allerdings begrenzt, da sie in der natürlichen Nahrung des Chinchillas nur in geringen Mengen vorhanden sind (8).


Blinddarm

Der Blinddarm (= Zäkum) des Chinchillas dient als Gärkammer, in der eine komplexe Bakterienflora den hohen Rohfasergehalt der Nahrung verdaut, so dass daraus verschiedene Nährstoffe (flüchtige Fettsäuren, Aminosäuren, Vitamine) hergestellt werden können (9, 10).



Dickdarm

Der Dickdarm ist bei Chinchillas der voluminöseste Anteil des Verdauungstraktes (10, 11). Der vordere Dickdarm spielt eine wichtige Rolle bei der Bildung der eiweißreichen Kotballen, die vom Chinchilla gefressen werden. In den hinteren Dickdarmabschnitten wird dem Nahrungsbrei Wasser entzogen und es erfolgt die Formung der „Knödel“ (10).


Koprohagie

Chinchillas produzieren zwei verschiedene Arten von Kotpellets, die jedoch mit bloßem Auge nicht voneinander zu unterscheiden sind.

Der in den Ruhephasen am Tag abgesetzte Kot ist wesentlich eiweißreicher und wird von den Tieren gefressen (= Koprophagie). Dies hat verschiedene Vorteile:
  • die im Blinddarm produzierten Nährstoffe (flüchtige Fettsäuren, Eiweiße, Vitamine) werden dem Tier zur Verfügung gestellt
  • im Kot befindliche Blinddarmbakterien werden dem Darm wieder zugeführt
  • schwer verdauliche Rohfaseranteile und Mineralstoffe können besser verwertet werden, indem sie erneut dem Verdauungsprozess zugeführt werden (11-13).
Der proteinarme Kot wird in den Aktivitätsphasen in der Nacht ausgeschieden und nicht noch einmal einer Magen-Darm-Passage zugeführt (11-13).



Fell- und Hautstruktur

Chinchillas haben ein einzigartiges Fell. Aus einem Haarfollikel wachsen bis zu 60 feine Härchen, die senkrecht von der Hautoberfläche abstehen (14). Das Fell bietet guten Schutz vor Kälte, ist jedoch nicht wasserabweisend, so dass keinerlei Schutz vor Feuchtigkeit besteht.
Die Tiere besitzen keine Schweißdrüsen und sind daher sehr empfindlich gegenüber Hitze.

 


Fortpflanzungsphysiologie

Fortpflanzungsdaten

Geschlechtsreife

männlich

weiblich

Dauer Sexualzyklus

             Brunst

Trächtigkeitsdauer

Wurfgröße

Säugezeit


ca. 9 Monate

4 - 6 Monate

28 - 35 Tage

3 - 4 Tage

ca. 110 Tage

1 - 3 (4), Nestflüchter

ca. 4 Wochen



Geschlechtsbestimmung

Bei männlichen Chinchillas besteht ein größerer Abstand zwischen der Öffnung der Vorhaut (Präputialöffnung) und dem After. Bei weiblichen Tieren ist der Abstand zwischen der Harnröhrenöffnung, die meist zapfenartig vorgewölbt ist und mit einem Präputium verwechselt werden kann, und dem After geringer. Zudem befindet sich zwischen Harnröhrenzapfen und After der schlitzförmige Scheideneingang, der allerdings nur während der Brunst geöffnet ist.

Anogenitalregion eines männlichen Chinchillas

1   Präputialöffnung

2   After

Anogenitalregion eines weiblichen Chinchillas

 Harnröhrenöffnung

2   Scheidenöffnung

3   After



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